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Auftakt des Ernst-Schulze-Jubiläums am 25. April 2017
Im überfüllten Kreistagssaal, geschmückt mit Plakaten von Schülerinnen und Schülern, die Verse von Ernst Schulze bildnerisch interpretiert haben, begann es sofort festlich zu werden, als das
Flötenduo Marlene Pelz und Hannah-Theresa Strohbecke, beide sind Schülerinnen des Gymnasiums Ernestinum, musizierte, kraftvoll, präzise und lebendig. Lothar Haas, Vorsitzender der
Ernst-Schulze-Gesellschaft begrüßte die Gäste, dankte Landrat Klaus Wiswe für die Bereitstellung des Kreistagssaals und für den Platz für das Aufstellen der Ernst-Schulze-Säule auf dem Gelände des
Landkreises an der Trift. Die Begründung dafür, dass an den einstmals berühmten Dichter aus Celle erneut erinnert werden sollte, sieht die Ernst Schulze-Gesellschaft darin, so Lothar Haas, dass
anspruchsvolle Dichtung aus der Region den Zugang zur Literatur insgesamt erleichtern kann. „Sicher können wir Ernst Schulzes Texte nicht wieder zu Bestsellern machen. Aber den einen oder anderen
Text von ihm zu lesen und daraus Gewinn für sich selbst zu ziehen, dazu können Menschen durchaus verlockt werden.“ Landrat Klaus Wiswe freute sich über die Vielzahl der Gäste. Er
erklärte, dass er die Projekte des Jubiläums unterstütze und sich besonders darüber freue, dass es Veranstaltungen zu Ernst Schulze auch im Landkreis geben wird. In mitreißender Lebendigkeit
zeigte Professor Wertheimer, Tübingen, in seinem Vortrag mit dem Titel: „Warner? Schwärmer? Nestbeschmutzer? Zur Rolle der Literatur – damals wie heute“, welche bedeutende Funktion die
Literatur für unser Selbstverständnis, unser Wissen voneinander und auch von der realen Welt hat. Immer sei die Poesie ein unersetzlicher „Wirklichkeitsabdruck“. Die Literatur vermittle
„Hellsichtigkeit“, denn sie sei unbestechliche Zeugin von realem gesellschaftlichem Leben. Bei der Aufführung von Schillers „Räubern“ zum Beispiel haben Zuschauer vor Begeisterung und Schrecken den
Theaterraum demoliert, Goethes „Werther“ sei eine „Brandbombe“ gewesen, Fontanes „Effi Briest“ habe ohne Anbiederung an den verordneten guten Ton in der Gesellschaft die Innenansicht einer
konventionellen Ehe aufgezeigt. Keine Presse, keine Statistik, keine wissenschaftliche Dokumentation könne diesen „Röntgenblick“ der Literatur ersetzen. Literatur vertiefe Beobachtungen,
mache Komplexes begreifbar, präzisiere für jedermann. Damit schule sie unsere Wahrnehmung, und so sei sie es auch, die die Herzen der Leserinnen und Leser bildet. Für Ernst Schulze sei das Schreiben
einerseits „Rettungsanker“ in der Einsamkeit seiner Jugend gewesen, andererseits war sie ihm auch „Rauschmittel“: Er war berauscht von ihr und erprobte seine Fähigkeit, andere zu berauschen. Poesie
und Politik seien für ihn in einer konfliktreichen, kriegerischen Zeit nahe beieinander gewesen. Er beherrschte die Gabe der Satire wie die der romantischen Stimmungsmalerei und vermischte beide
Ebenen in subtiler Weise. Ernst Schulze nachzugehen heiße, einem Antihelden, einem bemerkenswerten Dichter nachzugehen, heiße, Literatur wirken zu lassen. Mit großem Applaus dankten die
Anwesenden Professor Wertheimer. Eine der vielen Zuhörerinnen sprach mit dem Satz: „Ich hätte ihm noch viel länger zuhören können“, für viele. Im Anschluss brachten die Musiker Ilas
Nicević (Tenor) und Slawomir Saranok (Piano) das von Franz Schubert vertonte Gedicht Ernst Schulzes „Am 31. März 1815“ (Im Frühling) formvollendet zu Gehör. Die Zuhörerinnen und Zuhörer applaudierten
begeistert.
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Der Vortrag Oskar Ansulls, Berlin und Celle, mit dem Titel: „Ernst Schulze … in dem einsamen Zelle. Kurze Betrachtung zu einem kurzen Leben“ bildete den zweiten Höhepunkt des Festakts. 1805
hatte der damals 16-jährige Ernst Schulze in sein Tagebuch geschrieben, dass „eine ganz neue poetische Welt“ in ihm „erwacht“ sei. Sie bildete, obschon er sie durchaus auch als „ordnungsloses
Gebilde“ empfand, eine Gegenwelt, einen Widerstand zu den vielen Erfahrungen von Tod und Einsamkeiten, die das Kind und der heranwachsende Junge erleben, aushalten musste. Seine Mutter und seine
erste Stiefmutter starben wie auch Stiefgeschwisterchen, die die zweite Stiefmutter gebar. In Göttingen erfuhr er als junger Privatdozent den Tod der geliebten Cecilie Tychsen wie auch den Tod der
Freundin Thekla Schick. Zwei Schulfreunde in Celle, die ihm sehr vertraut und wichtig waren, verließen ihn. Statt Geborgenheit erfuhr Ernst Schulze vielfach Einsamkeit und Enge in einem Elternhaus
der vielen Menschen und unzähligen Arbeitsbelastungen. Sein Vater war als Stadtsyndikus und Bürgermeister vielfach gefordert, die Stadt Celle in der „Franzosenzeit“ belastet, bedroht, verarmt. Doch
gab es für den Jungen die Zuflucht in die Größe der eigenen Fantasie und in die Weite der Literatur. Als 23-Jähriger formulierte Ernst Schulze den Satz: „Ich kann nichts anderes tun als dichten und
träumen.“ An zwei Orten fand Ernst Schulze als Kind und als Schuljunge seine geistige Nahrung, in der Buchhandlung seines Onkels (die Schulzesche Buchhandlung war vom Großvater in Celle
begründet worden und existierte noch bis 2002 in der Stadt) und in der alten Bibliothek des seit Langem leerstehenden Herrenhauses des Ritterguts Habighorst, das der Vater verwaltete. Dort las sich
Ernst Schulze in den Ferien durch den Bestand der französichsprachigen Ritter- und Feenromane. In der Literatur habe Ernst Schulze, so der Poet und Literatur-Sachverständige Oskar Ansull, ein
nachhaltiges und gleichzeitig forderndes Lebenselixier gefunden. Er arbeitete mit großer Anstrengung bis zur formalen Vollendung an eigenen Gedichten, an großen Versepen, und dabei reflektierte er
seine eigenen Erfahrungen, Wünsche, Begegnungen in einmaliger Weise durch anspruchsvolle Formen. Ernst Schulzes Sonett mit dem Titel „Zelle“ interpretierte Oskar Ansull abschließend in berührender
wie überaus erhellender Weise durch einen glanzvollen Vortrag. Anders als die Überschrift nahelege biete es keine Beschreibung der Stadt Celle, eher noch vielleicht eine der Landschaft mit „Haide“
und „ödem Fichtenhain“, doch der eigentliche Gehalt sei die Beschwörung, die Selbstvergewisserung über die „heil’ge Gabe / Der eignen Kraft der reinen Seele“. Die heutige Stadt Celle
sollte, so Oskar Ansull, dem eigenen großen Poeten nach 200 Jahren endlich ein „schönes Denkmal“ setzen. „Die temporäre Ernst-Schulze-Säule am Vorplatz des Landkreisgeländes mag das Fehlende von der
Stadt vielleicht erneut und unverzagt einfordern.“ Mit großem Beifall bedankte sich das Publikum für Oskar Ansulls einfühlsamen wie begeisternden Vortrag. Die Festversammlung begab sich
aus dem Kreistagssaal hinaus zur noch verhüllten ErnstSchulze-Säule an der Trift und verfolgte die professionelle Enthüllung mit Applaus. Auf der hohen Säule sind Leben, Zeit, Werk, dessen
Verbreitung und Rezeption wie auch ein Platz für wechselnde Poster aus Schulen zu entdecken, eine Literaturausstellung an der Straße. Lothar Haas bedankte sich bei allen Beteiligten und allen Gästen
und rief ihnen abschließend zu: „Gucken Sie, lesen Sie, lesen Sie weiter!“